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Über Behandlungszeiten spricht man nicht...

... und wenn doch, dann meist geheimnisvoll, unverbindlich, nichtssagend oder missbilligend, mit dem erhobenen Zeigefinger als unseriös darstellend. Soweit die Realität.

Als Zahlenmensch liebe ich es mit Zahlen zu spielen und z. B. Mittelwerte zu errechnen. Daher war es eine logische Schlussfolgerung, dass ich mich mit den Behandlungszeiten aus meinen Behandlungsdokumentationen statistisch beschäftigte. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse waren meine ganz persönlichen durchschnittlichen Behandlungszeiten. In Folge fing ich an mich für die durchschnittlichen Behandlungszeiten anderer Elektrologisten zu interessieren. An der Stelle hätte ich vielleicht aufhören sollen, da sich nicht alle Kollegen damit beschäftigen wollen und ich mir der gegensätzlichen Meinungen durchaus bewusst war. Ich ahnte, dass es viele, wenn nicht sogar mehr Kritiker, mit schlüssigen aber auch an den Haaren herbeigezogenen Argumenten, als Befürworter gibt. Ich befürchtete, dass sich die schlussfolgernde Frage, wie denn Standards für alle aussehen könnten und welche Vorteile diese haben könnten, in hitzig und polarisierend geführten Diskussionen verlieren würden. Ich wusste, dass es nicht einfach werden wird. Und dennoch war und ist mir dieses Thema sehr wichtig, nicht nur für die Branche allgemein, sondern auch für unsere Kunden.

Also habe ich angefangen mich für die Zahlen der Kollegen zu interessieren und stellte gezielt Fragen. Die Antworten darauf wurden leider vorwiegend schwammig und ausweichend oder gar abwertend beantwortet. Die Antwort: "Unter 100 Stunden für einen Bart? Dann hast Du nie einen "richtigen Bart" behandelt!", habe ich mehr als einmal bekommen. Es war frustrierend, denn scheinbar wollte man sich mit Behandlungszeiten nicht auseinandersetzen und manche hatten offensichtlich Angst sich festzulegen. Doch ich gab nicht auf und so fand ich schließlich doch ein paar wenige, die ihre Behandlungszeiten offenlegten. Und interessanterweise wurde sehr schnell klar, dass wir uns auf ähnlichem Niveau bewegen. Es konnte also kein Zufall sein, dass sich die durchschnittlichen Behandlungszeiten für bestimmte Areale von Kollegen auf unterschiedlichen Kontinenten im gleichen Zeitrahmen bewegten.

Doch erst 2014 kam Bewegung in das Thema, als sich ein Kunde bei mir nach meinen Erfahrungen bzgl. Achselenthaarungen erkundigte. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben, als er mir von über 100 Behandlungsstunden bei einer Elektrologistin berichtete und immer noch keine sichtbare Haarreduktion eingetreten sei. Das konnte unmöglich sein, insbesondere bei Achselbehaarung stellt sich relativ zügig ein sichtbares Ergebnis ein. Der Kunde hatte mehrere tausend Euro für eine unwirksame Behandlung bezahlt, war entsprechend verärgert und wandte sich an einen Anwalt. Es folgte eine lange Odysee bevor das Landgericht Wuppertal im September 2020 zu folgendem Schluss kam:

"Dass die Beklagte ihre Pflicht aus dem Dienstleistungsvertrag in erheblicher Weise schuldhaft nicht erfüllt hat, weil die erbrachte vereinbarte Leistung für den Kläger völlig unbrauchbar war, steht zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest." (Zitat AZ: 5 O 57/15)    

Spätestens jetzt war klar, wir müssen über Behandlungszeiten sprechen. Und so warfen einige wenige Kollegen ihre Erfahrungen in einen Topf, um so gemeinsame Durchschnittszeiten zu ermitteln. Seit über 140 Jahren wird die Elektroepilation erfolgreich praktiziert. In dieser langen Zeit, sollte man annehmen, wurden längst durchschnittliche Behandlungszeiten (Standards) ermittelt. Laut dem leider inzwischen verstorbenen Kollegen Mike Bono gab es seit den 1920er Jahren immer wieder Versuche "TTT Standards" (=Total Treatment Time), also Standards für Behandlungszeiten, zu erfassen. So hat z. B. die Kollegin Jean Ogren aus San Francisco sogar an einem Verfahren zur Datenübermittlung gearbeitet. Ihr Ziel war, eine umfangreiche Datenbank mit Behandlungszeiten aufzubauen. Leider waren seinerzeit nur zwei oder drei Elektrologisten bereit sich an der Datensammlung zu beteiligen, weshalb das Projekt kläglich scheiterte. Das ist sehr schade, da eine Datenbank von Daten lebt. Je mehr davon eingespeist werden, umso genauer wird das Ergebnis. Und davon profitieren letztendlich alle, die Elektrologisten und die Kunden.

Von der Sachebene zur Moralkeule

Heute wie damals werden die Diskussionen sehr leidenschaftlich und mit großem Engagement, aber auch sehr kontrovers geführt. Dabei spielt es keine Rolle wo oder wie diskutiert wird, im persönlichen Gespräch, auf Veranstaltungen und anderen Zusammentreffen mit Kollegen oder in Internetforen und auf Social Media Kanälen.

Dass die Hauptargumente erstmal identisch sind, ist nicht überraschend:

  • Die Behaarungssituation ist von Mensch zu Mensch individuell.
  • Ethnische Herkunft, Geschlecht, hormonelle Ursachen, Schmerzempfinden, Haarlänge und andere Haarentfernungsmethoden beeinflussen die Behandlungsdauer.

In diesem Zusammenhang werden Zeitangaben zu durchschnittlichen Behandlungszeiten von den Kritikern als "irreführend", "kontraproduktiv", "schädlich für die Branche" oder "unseriös" bezeichnet. Statt sich konstruktiv und produktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, wird die Moralkeule geschwungen. Diese angeblich tugendhaften Totschlagargumente fallen in fast jeder Diskussion und immer mit dem Ziel, jede weitere sachlich geführte Diskussion im Keim zu ersticken. Gelegentlich findet man Angaben zu Behandlungszeiten mancher Kritiker auf deren Homepages, die ironischerweise den »Standards für Behandlungszeiten mit der Elektroepilation« gleichen. Konfrontiert mit den widersprüchlichen Aussagen, werden Kommentare, Beiträge und Homepageinhalte gerne mal gelöscht oder vorübergehend entfernt und mit völlig abstrusen Unterstellungen vom eigentlichen Thema abgelenkt. Ein typischer Diskussionsverlauf kann in einem englischsprachigen Internetforum unter dem Beitragstitel "Some controversy in Germany" nachgelesen werden.

Die Behaarungssituation ist von Mensch zu Mensch individuell

Das bestreitet sicher niemand. Zutreffend ist auch, dass viele beeinflussende Faktoren berücksichtigt werden müssen. Die beeinflussenden Faktoren sind bekannt, dazu zählen:

  • unterschiedliche Haardichten
  • Hormone
  • Schmerzempfinden
  • Haarlänge
  • vorherige Haarentfernungsmethoden

Unterschiedliche Haardichten aufgrund des Geschlechts und/oder ethnischer Herkunft

Unbestritten spielen Geschlecht und Herkunft bei der Haarmenge und damit für die Behandlungsdauer eine große Rolle. In aller Regel haben Männer mehr Haare als Frauen. Daneben haben manche Menschen völlig unabhängig vom Geschlecht mehr Haare als andere, was auf ihre genetischen Wurzeln zurückzuführen ist. Dadurch entsteht ein unterschiedlicher Behandlungsaufwand. Das wird bei den »Standards für Behandlungszeiten mit der Elektroepilation« insofern berücksichtigt, indem für begrenzte Regionen eine Zeitspanne angegeben wird. Diese Zeitspannen haben sich aus den zugrundeliegenden Behandlungszeiten ergeben. Innerhalb dieser Zeitspannen sollte es für jede geübte Elektrologist:in möglich sein 95% der Behandlungen erfolgreich durchzuführen. Die sehr wenigen Ausnahmen, die einen zeitlichen Mehraufwand erfordern, sollten entsprechend begründet werden können.

Hier eine beispielhafte Achselenthaarung.

In den Standards steht: "Für ein haarfreies Ergebnis beider Achseln oder der Bikinizone werden zwischen 6 und 12 Stunden benötigt." Für die abgebildete Achselbehaarung wurden bis zum haarfreien Ergebnis insgesamt 6,5 Stunden verteilt über 6 Behandlungen in Abständen von mehreren Monaten benötigt. Zum oberen Grenzwert von 12 Stunden ist damit noch reichlich Zeit, um auch Achseln mit einer fast doppelten Menge an Haaren innerhalb des angegebenen Zeitrahmens behandeln zu können.

Hormone als Universalschuldige 

Es gibt einige hormonelle Ursachen, die verantwortlich sind für Haarwuchs an Stellen, wo er nicht hingehört. Ursächlich verantwortlich sind die Androgene, also die männlichen Hormone. In diese Kundengruppe fallen z. B. Frauen mit Hirsutismus und transidente Menschen. Hormonelle Schwankungen können Haarwuchs stimulieren, das ist richtig. Aber keine Kundin muss Angst haben, dass durch Hormonschwankungen neue Haarfollikel entstehen. Die Anzahl der Haarfollikel wird zwischen der 13. und 16. SSW festgelegt und liegt bei ca. 5 Millionen. Nur ein Teil dieser Haarfollikel wird aktiv Haare bilden, der große Rest wird ein Leben lang gar keine Haare entwickeln. Es sei denn die Hormone spielen verrückt, dann können bislang inaktive Haarfollikel zum Leben erweckt werden. Aber nicht alle gleichzeitig und auch nicht kontinuierlich ein Leben lang. Nach meinen Beobachtungen wird bei einer vorliegenden Hormonschwankung immer nur eine Anzahl X inaktiver Haarfollikel aktiviert. Werden die aktivierten Haarfollikel erfolgreich behandelt, haben die betroffenen Kundinnen oft über Jahre Ruhe. Eine erneute Aktivierung inaktiver Haarfollikel tritt erst wieder auf, wenn es zu erneuten Veränderungen im Hormonhaushal (z. B. Wechseljahre) kommt. 

Können Standards für Behandlungszeiten nicht vorhandene Haare berücksichtigen? Natürlich nicht. Dies ist auch gar nicht nötig. In diesen speziellen Fällen sollte immer zuerst überprüft werden, ob der Ist-Zustand bereits erreicht wurde. Hier ist das Beratungs- und Aufklärungsgespräch besonders wichtig. Bei transidenten Menschen unterscheidet man bei der Bartentfernung zwischen einem juvenilen und einem ausgereiften Bartwuchs. In letzterem Fall wurden bereits alle genetisch vorgesehenen Haarfollikel aktiviert. Hier hat das Testosteron kaum noch Auswirkungen auf den Haarwuchs. Ein juveniler Bart unterliegt jedoch noch dem Einfluss des Testosteron und kann dadurch mehr Behandlungsbedarf erfordern als anfänglich angenommen. Dennoch wird sich ein juveniler Bartwuchs eher im unteren Drittel der Standards bewegen.

Auch hier möchte ich ein Beispiel aus meiner Praxis zeigen. 

In den Standards steht: "Die Behandlung eines männlichen Vollbarts beansprucht zwischen 30 und 90 Stunden, in Abhängigkeit der Haardichte." Für den abgebildeten Vollbart wurden bis zum haarfreien Ergebnis 73 Stunden benötigt. Der Bart wurde anfänglich sukzessive ausgedünnt, da dies die hautschonendere Vorgehensweise ist. Der Nachteil besteht darin, dass diese Vorgehensweise anfangs zeitaufwändiger und die Gesamtbehandlungszeit etwas verlängert.

Schmerzempfinden, Haarlänge und vorherige Haarentfernungsmethoden

Während die einen scheinbar mühelos die Behandlung durchstehen, kommen andere schon unruhig oder angespannt zum Termin. Letztere können kaum bis gar nicht ruhig liegen oder versuchen sich die Anspannung von der Seele zu reden. All das erschwert die Insertion und verlangsamt die Behandlung erheblich, weshalb nur ein Bruchteil an Haarfollikeln behandelt werden können. Bis zu einem gewissen Grad können z. B. kürzere Behandlungseinheiten die Lösung des Problems sein. Doch insbesondere wenn ein erhöhtes Schmerzempfinden die Behandlung stark negativ beeinflusst, müssen Optionen zur Schmerzreduktion besprochen werden. Es gibt viele Möglichkeiten, angefangen von oberflächenbetäubenden Cremes aus der Apotheke bis hin zu einer Lokalanästhesie von einem Arzt. Und in manchen - wenn auch sehr wenigen - Fällen hilft nur der ehrliche Hinweis, dass die Elektroepilation nicht für jeden die passende Haarentfernungmethode ist.

Die für die Behandlung erforderliche Haarlänge mit den Kunden zu kommunizieren, liegt einzig in der Verantwortung der Elektrologist:in. Die entsprechenden Hinweise für optimale Behandlungsbedingungen und die Auswirkungen bei Nichteinhaltung sind Teil des Aufklärungsgesprächs. Sich aus falsch verstandener Rücksichtnahme durch eine Behandlung mit zu kurzen Haaren zu quälen, ist aus fachlicher Sicht nicht akzeptabel. Der zeitliche und damit auch finanzielle Aufwand für die Kunden kann sich in diesen Fällen sehr schnell verdoppeln und verdreifachen. 

Vorherige Haarentfernungsmethoden beeinflussen die Behandlungsdauer insofern, dass die Behaarungssituation falsch dargestellt wird, je nachdem wie lange die letzte Rasur, Waxing, Laserbehandlung u. a. zurück liegt. Den Einfluss vorheriger Haarentfernungsmethoden habe ich in einem anderen Beitrag bereits ausführlich beschrieben, deshalb gehe ich hier nicht mehr ins Detail.

Fazit: 

Meine Erkenntnis aus allen Diskussionen, die ich zu diesem Thema schon geführt habe, ist:

  • Die meisten Diskussionen werden völlig unnötig geführt. Viele Kollegen leisten eine bessere Arbeit als ihnen bewusst ist oder könnten ihre Arbeit und ihre Behandlungszeiten mit nur wenigen Anpassungen deutlich verbessern.
  • Mit den erbitterten Kritikern zu diskutieren ist nicht zielführend, da es um persönliche Befindlichkeiten, statt um die Sache geht.